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Motivation - Teil 1: Einführung und Antike

Die Geschichte der Motivation. In mehreren Teilen zeige ich Ihnen von der Antike bis zur Gegenwart auf, was die Menschen in der jeweiligen Epoche motiviert hat.

Motivation – der Mythos lebt

Loseblatt-Sammlungen – die Älteren werden sich erinnern – bildeten Ende der 90er Jahre die Spitzenprodukte des Haufe Verlags in Freiburg im Breisgau. „Das Personal-Büro in Recht und Praxis“ war legendär und durfte in keinem Unternehmen fehlen.

Um die Legende am leben zu halten, stand Haufe jedoch vor gewaltigen Herausforderungen (vgl. Müller, S. 57, und Sywottek, S. 48). Das traditionelle Geschäftsmodell war bedroht, ein Aus nicht ausgeschlossen. Überleben ging für den bereits 1934 gegründeten Verlag nur mit digitalisierten Angeboten.

Heute gilt die Haufe Group als Pionier in Sachen Digitalisierung. Sie macht mit 407 Millionen Euro acht Mal mehr Umsatz als 1990. Die Anzahl der Beschäftigten ist von rund 330 auf über 2.000 gestiegen. Mit der Haufe-umantis AG in St. Gallen nennt die Gruppe ein Unternehmen ihr Eigen, in dem der CEO von der Belegschaft gewählt wird. Hierarchien sind im gesamten Konzern einer Projektorganisation gewichen (vgl. Sywottek, S. 48 ff.)

Was genau hinter dem glänzenden Erfolg bei der Haufe Group steckt, wissen wir nicht. Der Transformationsprozess gelang jedenfalls. Die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnte dabei eine größere Rolle gespielt haben.

Motivation hat unendlich viele Facetten, die zu durchdringen bis heute nicht gelungen ist –  und die wohl auch noch eine lange Zeit nicht zu durchdringen sein werden. Manchmal ist gar von einem „Mythos“ die Rede (Sprenger, 2014). Mehr als eine Annäherung gelingt in der Regel nicht (vgl. Berthel / Becker, 43 f.). Denn was in einem Fall ausgezeichnet funktioniert, kann anderenorts komplett daneben gehen. Theorien sind dennoch oder vielleicht gerade deswegen eine Reihe entstanden. Mit dem Organizational Behavior hat sich sogar eine wissenschaftliche Disziplin entwickelt, die menschliches Verhalten erklären und Prognosen abgeben will. Den Praxistest bestehen die Theorien nicht immer. Oft können schon kleine Änderungen der Variablen Erfolg oder Misserfolg ausmachen.

An dieser Stelle werde ich als Anregung für den Umgang mit Motivation viele praktische Beispiele darstellen und einen Bezug zu deren theoretischen Fundamenten geben. Die Praktiker hatten davon freilich nicht immer Kenntnis und sahen sich oft selbst als „Forscher“ auf der Suche nach dem richtigen Ansatz, wie ein gewünschtes Verhalten durch Führung, Organisation etc. zu erreichen war. Den Anfang bildet ein kleiner Abriss über fast dreitausend Jahre Geschichte der Motivation. Danach stelle ich hier in loser Folge kleine und große Erfolgsgeschichten vor.

Antike – Vergnügen und Vermeidung

In der griechischen Antike (um 400 v. Chr.) ging Aristippos von Kyrene, davon aus, dass Menschen nach Lust und Vergnügen strebten und alles Handeln darauf ausgerichtet sei (vgl. Döring, S. 6 ff.) Der Hedonismus war begründet. Andererseits, so die Annahme der auf Aristippos zurückgehenden Schule der Kyrenaiker, wollten Menschen Schmerz und Strafe vermeiden (vgl. Döring, S. 45 f.). Im Sport ist Aristippos übrigens noch heute „am Start“. Dort gehen viele Ansätze auf den amerikanischen Psychologen John William Atkinson (1923 – 2003) zurück (vgl. Weiner, S. 151 ff.). Er begründete in der Tradition von Aristippos das „risk-taking behavior“. „Hope of success“ und „fear of failure“ sind darin die wichtigsten, nur um in der Antike zu bleiben, Säulen.

Ein Blick auf das, wir bleiben sportlich, was die Sieger bei Olympischen Spielen der Antike ab ca. 700 v. Chr erhielten (vgl. Swaddling, S. 144 ff.), dürfte den einen oder anderen beflügelt haben – Frauen war die Teilnahme übrigens untersagt. Das änderte sich nennenswert erst 1928 (vgl. Husemann, S. 153), vollständig mit allen Disziplinen sogar erst 2012. In der Antike konnten Frauen aber als Besitzerinnen eines Gestüts beim Wagenrennen auch Olympiasiegerin werden (vgl. Swaddling, S. 59 ff.).

Zurück zu den Prämien: Neben Palmzweig und Siegerkranz gab es etwa Ehrenrechte, Geldprämien, Steuerbefreiung – und große Begräbnisse (vgl. Husemann, S. 55 ff.). Dabei ist überliefert, dass den Verlierern nichts zuteil wurde, und manch einer wollte lieber sterben, wenn auf Platz eins ein anderer landete (vgl. Husemann, S. 42 f.). Sogar Antrittsprämien hat es gegeben. Und auch die Region, aus der der Sieger stammte, erhielt Belohnungen. Wenn das keine Argumente waren, sich für den Erfolg so richtig ins Zeug zu legen.

Wissenschaftliche Belege existieren zu den Motiven verständlicherweise nicht. Dafür aber Berichte darüber, dass die Anreize scheinbar so hoch erschienen, dass Betrug an der Tagesordnung war, u. a. Bestechung, Vergütung für freiwilliges Verlieren etc. Prominentester Vertreter: Kaiser Nero (vgl. Husemann, S. 148 ff.). Dieser gewann, nachdem er die Olympiade kurzerhand um zwei Jahre nach hinten verlegt und schon dadurch einen handfesten Skandal ausgelöst hatte, 67 n. Chr. in sechs Disziplinen, weil er die Kampfrichter bestach. Sogar im Wagenrennen, wo er während des Rennens von seinem Gefährt fiel und das Ziel nicht erreichte. Die Meisterschaft war ihm dennoch nicht zu nehmen: Er hatte vorgesorgt und entschieden, der einzige Starter zu sein.

US-Präsident Trump scheint in sportlicher Hinsicht in die Fußstapfen von Kaiser Nero zu treten (vgl. Fiedler, S. 95, und Rabe). 18 Klubmeisterschaften im Golf will er errungen haben. Seinem unfreiwilligen Vorbild folgend, „gewann“ er eine davon etwa, als er einen Golfplatz eröffnete, selbst die erste Runde spielte und sich anschließend zum Klubmeister kürte. Verschwundene und kurzerhand von und für ihn besser platzierte Bälle sind im Duell mit Mr. President die Regel.

Als Kaiser Nero freiwillig, das dürfte Donald Trump kaum in den Sinn kommen, das Zeitliche gesegnet hatte, forderte Rom die Bestechungsgelder kurzerhand zurück. Athen löschte daraufhin die Olympiade des Jahres 67 aus den Annalen (vgl. Swaddling, S. 160).

Die Antike hält zahlreiche weitere interessante Phänomene bereit, die auch Rückschlüsse auf die Frage nach den Gründen für menschliches Handeln zulassen. Die Begründung der Rhetorik, der Kunst der Rede, beispielsweise. Aristoteles (384 v. Chr. - 322 v. Chr.), der eine Theorie der Überzeugung erarbeitete (vgl. Brodersen / Zimmermann, S. 514), war nicht der erste, der sich des Themas annahm. Schon viele Gelehrte vor ihm wussten, dass eine gute Rede dazu in der Lage ist, jemanden von einer Aussage zu überzeugen und Menschen zu einer Handlung zu bewegen (vgl. Brodersen / Zimmermann, S. 514). Anders ist heute wohl kaum zu erklären, warum gebildete Menschen Verschwörungstheorien anhängen und sich zu Großdemonstrationen aufmachen, wo Fakten vollkommen unbedeutend erscheinen – zumindest die der anderen.

Interessant in diesem Zusammenhang, in welcher Tradition sich die Rhetoriker befanden – womit wir ungewollt schon wieder Bezüge zu den Verschwörungstheoretikern heutiger Zeit  herstellen könnten. In der sophistischen Tradition (5. und 4. Jahrhundert v. Chr.) war nämlich die Überzeugung verwurzelt, dass es die Wahrheit gar nicht gäbe (Harenberg, S. 2810). Womit letztlich erklärt werden kann, warum es legitim erschien und erscheint, jemanden von einer Aussage durch Gespräch oder Vortrag zu überzeugen – und daher auch Demagogen und Verschwörungstheoretiker Legitimation finden können. Diese Haltung sollte den Sophistikern folglich im Laufe der Jahrhunderte noch reichlich Ärger einbringen, war es doch gerade das Streben nach Wahrheit, das die Epochen, insbesondere die der Aufklärung, prägte.

Dabei hätte allen Kritikern jene Fabel zur Entstehung von Wahrheit und Lüge Warnung genug sein können (vgl. Irmscher, S. 225 f.): Demnach schuf Prometheus, der der Mythologie nach der Menschheit das Feuer gebracht und damit eine Urform der Zivilisation geschaffen hat, die Wahrheit aus Ton. Dolus, der personifizierte Betrug, fertigte zeitgleich, noch bevor Prometheus seine Figur zum Leben erwecken konnte, eine Kopie. Nur für die Füße reichte der Ton nicht mehr. Als Prometheus, von der Ähnlichkeit beeindruckt, die Figuren zum Leben erweckte, schritt die Wahrheit, mit unbekanntem Ziel von dannen. Dolus‘ Kopie dagegen blieb, lebendig zwar, aber mangels „Unterbau“ auf der Stelle und fortan als Lüge und Betrug für alle sichtbar im Raum und in der Welt.

Der Bedeutung der Antike für den Gewinn von Erkenntnissen tut das keinen Abbruch. Über die Motive für die Begründung demokratischer Strukturen, der Gerichtsbarkeit, die verblüffend präzise Berechnung des Erdumfangs durch Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 v. Chr. bis 194 v. Chr.), a2 + b2 = c2, umstrittenerweise Pythagoras (ca. 572 v. Chr. - 492 v. Chr.) zugeschrieben, Archimedes (ca. 287 v. Chr. - 212 v. Chr.) Erkenntnisse über Hebel, Auftrieb, Dichte und Optik sowie seine zahlreichen Erfindungen und vieles mehr (vgl. jew. Brodersen / Zimmermann) können wir nur spekulieren. Vielleicht hätte Sokrates (ca. 469 v. Chr. - 399 v. Chr.) bei einem seiner zahlreichen Gespräche auf einem Athener Marktplatz Auskunft darüber geben können. Jenem Steinmetz also, der, anstatt seinem Beruf nachzugehen, viel lieber Fragen stellte und darüber endlose Debatten führen konnte (warum tat er das eigentlich?), dabei aber so manchen Edelmann vor aller Öffentlichkeit bloß stellte und sich viele Feinde machte. Und der letztlich wegen seiner Suche nach Wahrheit zum Tode verurteilt wurde – angeklagt, die Jugend zu verderben, und wegen Gottlosigkeit (vgl. Brodersen / Zimmermann, S. 558). Unter anderem hatte er die Entstehung von Regen mit den Wolken in Verbindung gebracht, und nicht den Göttern zugeschrieben .

Seine Motivation, die Strafe zu akzeptieren, obwohl er sie selbst hat festlegen können, bleibt sein Geheimnis. Die Konsequenz, mit der Sokrates seinen Standpunkt, den Tod vor Augen, vertrat und die Anklage widerlegte, ist aber aus motivationaler Sicht phänomenal.

  • Brodersen, Kai, und Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Metzler Lexikon Antike. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart und Weimar: Metzler, 2006.
  • Döring, Klaus: Der Sokratesschüler Aristipp und die Kyrenaiker. Wiesbaden: Steiner, 1988.
  • Fiedler, Matthias: Wie ein Hütchenspieler, in: Der Spiegel 33 (2020), S. 94 – 96.
  • Harenberg Lexikon Verlag: Harenberg Kompaktlexikon in 5 Bänden. Dortmund: Harenberg, 1994.
  • Husemann, Dirk: Spiele, Siege und Skandale. Frankfurt (Main): Campus, 2007.
  • Irmscher, Johannes (Hrsg.): Sämtliche Fabeln der Antike. Köln: Anaconda, 2011.
  • Müller, Eva: Kannibalen aus Freiburg. Von 50 auf 300 Millionen Euro Umsatz – warum ausgerechnet der Haufe Verlag zum digitalen Vorreiter wurde, in: Manager Magazin 10 (2014), S. 54 – 58.
  • Rabe, Jens-Christian: „Klingt besser“, in Süddeutsche Zeitung 217 (2020), S. 22
  • Sprenger, Reinhard K. Mythos Motivation: Wege aus einer Sackgasse. 20. aktualisierte Auflage, Frankfurt (Main): Campus, 2014.
  • Swaddling, Judith: Die Olympischen Spiele der Antike. Stuttgart: Reclam, 2004.
  • Sywottek, Christian: Sinnvolle Unordnung, in: Brand eins 3 (2015), S. 46 – 51.
  • Weiner, Bernard: Motivationspsychologie. 3. Auflage, Weinheim: Beltz, 1994.

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